Wenn der Gashahn versiegt, wird's kritisch | OberpfalzECHO

2022-07-22 21:13:38 By : Ms. Vivian Jin

Weiden/Mitterteich/Waldsassen. Droht den vom Gas abhängigen Unternehmen in der nördlichen Oberpfalz ein Blackout, wenn der Westen ein Embargo gegen russische Energie verfügt?

Nicht erst seit Bekanntwerden der schrecklichen Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha, wo russische Soldaten Hunderte Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen, grausam ermordet haben, wird der Ruf nach härteren Maßnahmen gegen Russland immer lauter. Darunter die Forderung eines Embargos für russisches Gas und Öl. Wie würde ein Lieferstopp die von diesen Rohstoffen abhängigen Unternehmen in der Region treffen?

„Nicht ohne Sorgenfalten“ blickt man bei Schott Rohrglas in Mitterteich auf die derzeitige Situation. Schott ist einer der weltweit führenden Hersteller im Bereich Spezialglas, Glaskeramik und anderer Hightech-Werkstoffe – und gilt als der größte Energieverbraucher Nordbayerns.

Der Technologiekonzern beschäftigt rund 16.500 Mitarbeiter an weltweit über 30 Standorten. In Mitterteich arbeiten 1.350 Frauen und Männer am Werkstoff Glas. Mit einer Produktionskapazität von mehr als 190.000 Tonnen ist Schott nach eigenen Angaben einer der weltweit führenden Hersteller von Glasrohr. Produziert werden Glasrohre, -stäbe und -profile für internationale Wachstumsmärkte wie Industrie- und Umwelttechnik, Pharma und Elektronik.

Trotzdem gelte für das Unternehmen: „Was die Gasversorgung anbelangt, gehen wir derzeit von einer gesicherten Lage aus“, sagt Ludwig Bundscherer vom Mitterteicher Schott-Werk. Das liege auch daran, dass die Heizperiode langsam ende und die Füllstände der europäischen Speicher sowie der nicht-russische Import mindestens bis zum kommenden Herbst eine Versorgung ermöglichten. Schott Tubing bietet ein breites Produktportfolio mit einer großen Palette von Abmessungen und kosmetischen Eigenschaften. Über 60 verschiedene Glastypen werden in der nördlichen Oberpfalz produziert. 

Dennoch will man sich beim Spezialglashersteller nicht allein auf das Gas verlassen. Zusätzlich prüfe Schott gerade Möglichkeiten für den Einsatz von Liquified Petroleum Gas (LPG). Bundscherer: „Wir sind auf eine ganze Reihe von Szenarien vorbereitet. Die generelle Energieversorgung ist Stand heute nicht negativ beeinflusst.“

Einig wie selten sind sich in der Frage Gasboykott Unternehmer- und Gewerkschaftsseite. „Sollte es zum Ausfall größerer Gaslieferungen kommen, trifft das nicht etwa nur einige energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Chemieindustrie – sondern bald weite Bereiche des verarbeitenden Gewerbes mit Millionen Beschäftigten.“ Davor haben die Vorsitzenden von IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) gemeinsam gewarnt.

„Wenn Gaslieferungen ausfallen, dann steht die deutsche Wirtschaft über lange Zeit“, sagte zum Beispiel IG-Metall-Chef Jörg Hofmann voraus. Dann könne kein Stahl produziert werden. Und ohne diesen könnten auch etwa Autoindustrie und Maschinenbau nicht weitermachen. „Ein Ausfall der Stahlproduktion würde bedeuten, dass wir innerhalb von zwei oder drei Wochen einen Stillstand der kompletten Wertschöpfungskette haben“, warnte Hofmann.

Der Vorstandsvorsitzende des Evonik-Konzerns, Christian Kullmann, warnte vor drastischen Folgen eines möglichen russischen Energielieferstopps für die deutsche Volkswirtschaft. „Die Situation ist ernst“, sagte der Manager, der auch Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) ist, kürzlich im Radiosender WDR 5. Die deutsche Industrie und besonders die chemische Industrie müssten sich im Fall eines russischen Energieembargos „auf ein drastisches, auf ein dramatisches Szenario“ vorbereiten. Dann könne die Volkswirtschaft „nicht überleben“, sagte Kullmann.

Auch die Porzellanindustrie ist wie kaum ein anderer Industriezweig von Gas abhängig. „Klar, wir heizen unsere Öfen mit Gas, das höchstwahrscheinlich aus Russland kommt“, betont Gerold Welz, Leiter Marketing bei der Porzellanfabrik Seltmann in Weiden. Genau wisse er das aber nicht. Ein Ausfall der Gaslieferung würde die gesamte Porzellanindustrie in Europa schwer treffen, doch gehe man derzeit nicht von einem solchen Szenario aus. Ein großes Problem seien momentan vielmehr die steigenden Transport- und Rohstoffkosten, die man natürlich auf die Preise aufschlagen müsse. „Unsere Kunden haben dafür aber großes Verständnis“, weiß Welz.

Die stockenden und teilweise komplett unterbrochenen Lieferketten seien für die deutsche Porzellanbranche dagegen kaum ein Problem. „Daran hat eher die Konkurrenz aus China zu knabbern“, sagt der Marketingleiter und sieht darin einen gewissen Wettbewerbsvorteil der europäischen Porzellanhersteller.

Unternehmen und Verbraucher sind aber jetzt schon stark von steigenden Preisen betroffen. Energie ist enorm teuer geworden – nicht erst, aber vor allem – durch den Krieg. Das schlägt sich auch auf die chemische Industrie als einen der energieintensiven Wirtschaftszweige nieder.

Die Firma Ross Chemie aus Weiden ist zwar kein Produzent chemischer Produkte, vertreibt aber als „führender Großhändler“ Schmierstoffe, Reinigungsmittel, Spezialmischungen und andere chemische Produkte und bekommt die „teilweise explodierenden Preise“ ganz besonders zu spüren. „Lieferschwierigkeiten und steigende Transportkosten sind nur zwei von mehreren Gründen“, erklärt Oliver Döllinger von der Firma Ross.

Besonders beim Dieselzusatzstoff AdBlue habe sich der Herstellungspreis vervielfacht. „Einige kleinere Harnstoffhersteller mussten deswegen schon schließen“, weiß Döllinger. Er kritisiert die großen Konzerne, die ähnlich wie beim Sprit die Preise teilweise künstlich hochhielten. Die Preise seien zwischen zehn und mehr als 100 Prozent gestiegen, „das ist nimmer schön“. Er bleibe aber optimistisch und hoffe, dass man sich da irgendwie durchwursteln könne.

E-Mail-Adresse (wird nicht veröffentlicht)*

Nachrichten per Push und App